Interview mit Carsten Schneider

Foto: Goetz Schleser

Carsten Schneider (45 J.) ist nun schon seit mehr als 25 Jahren Mitglied der SPD. Seit 1998 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2017 ist er erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Dieses Jahr tritt er als Spitzenkandidat für die SPD Thüringen zur Bundestagswahl an.

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Wir haben Carsten Schneider ein paar Fragen zum Thema Arbeitswelt gestellt. Im Folgenden findet ihr die Antworten etwas gekürzt in Text-Form, sowie in voller Länge als Audio-Dateien. Die Tonspur ist manchmal etwas leise und zeitweise sind auch viele Hintergurndgeräusche zu hören. Durch den andauernden Wahlkampf ist im Büro immer viel los, aber wir hoffen, dass ihr soweit alles versteht. Viel Spaß beim lesen und anhören!

INTERVIEW

F: Was siehst du als große Herausforderung für die Arbeitswelt in den nächsten vier Jahren erstmal? Und was denkst du sind die Mechanismen, wie man dem Herr werden kann?

Carsten Schneider: Also das Erste ist Erhalt der Arbeitsplätze. Da bin ich mir aber auch relativ sicher, dass das passieren wird. Wenn wir Corona überwunden haben – in zwei, drei Monaten – zumindest was die Jobsituation in Deutschland betrifft. Also das ist für mich nicht die Herausforderung. Sondern der Punkt wird sein, die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung und das neu gelebte Homeoffice – was für manche Wunsch, für manche furchtbar ist – und die Entgrenzung von Arbeitszeit und die letztendliche Übertragung der Verantwortung für bestimmte Infrastrukturen, die du als Arbeitgeber eigentlich bereitstellst – Büro, Heizung, Strom, Internet etc. – auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist mir die wichtigste Veränderung, die wir haben werden, wo ich noch unsicher bin. Ich glaub’ viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch unsicher sind, ob sie das jetzt gut finden oder nicht und ob sie das tatsächlich wollen. Hubertus Heil ist herausgegangen mit dem Recht auf Homeoffice. Ich war da immer ein bisschen zurückhaltender, weil aus einem Recht kann auch schnell eine Pflicht werden. Wenn du das Recht hast, sagt dann der Arbeitgeber auch, du hast das Recht, du benutzt es auch. Ich kann zuhause jedenfalls nicht so gut arbeiten wie in meinem Büro, ist einfach so. Ich war ja jetzt die ganze Zeit und meine Frau ist auch im Homeoffice, die Kinder da, das ist schon belastend.

F: War jetzt so ein bisschen die Überlegung, dass es ganz sinnvoll sein könnte, mobiles Arbeiten oder Homeoffice leicht zu gewährleisten, aber gleichzeitig der Arbeitsplatz genauso verpflichtend sein muss?

Schneider: Ich bin da noch am Anfang der Meinungsbildung und auch die Gewerkschaften müssen sich jetzt erstmal eine Meinung bilden – was wollen die eigentlich – in Rückkopplung mit ihren Mitgliedern. Die haben ja auch nicht so viel Kontakt gehabt mit ihren Mitgliedern, in den letzten eineinhalb Jahren. Keine Betriebsversammlungen etc. Jetzt evaluieren wir das erst mal. Das ist der Hauptpunkt. Und es gibt ja einen Unterschied ob ich Angestellte oder Angestellter, oder ob ich selbstständig bin und das Verschwimmen zur Selbstständigkeit ist da sehr leicht möglich, indem man eben Kosten externalisiert, also dem Arbeitnehmer aufdrückt. Auch in der Arbeitszeit. „Brauchst gar nicht von 8:00 – 16:00 Uhr dran zu sein, mach nur den Arbeitsaufwand. Das ist die Arbeit, die du zu erledigen hast“. Das kann sich schnell erhöhen und dementsprechend eine Verbesserung für die Arbeitgeber bedeuten und das sehe ich als Gefahr und gucke erstmal. Die Arbeitnehmer, wenn sie nicht total exklusive Voraussetzungen haben als Basics die sie mitbringen, wie Super-IT, sind sie eher in der schlechteren Verhandlungsposition.

F: Es stellt sich die Frage, wie du im Bundestag Themen, die explizit für Thüringen wichtig sind, einbringen kannst? Und was vielleicht die Arbeitswelt angeht, ganz aktuell das Thema „Druckhaus“ zum Beispiel.

Schneider: Informell! Also natürlich kann ich über verschiedene Arten Einfluss nehmen auf Entscheidungen, auf Gesetzgebung. Und es ist einfach so: je länger du dabei bist, je höher du in der Hierarchie bist, umso größer ist deine Chance das irgendwie zu beeinflussen. Jetzt zur Arbeitswelt selbst: was ich machen kann und auch immer getan habe, ist mich dafür einzusetzen, dass ich Ansiedlungen unterstütze. Forschungseinrichtungen, Max-Weber-Kolleg, oder für die Uni Geld, oder Projektförderungen, oder das Frauenhoferinstitut nach Erfurt hier geholt und nach Jena ein Helmholtzinstitut. Druckhaus: dabei hab’ ich meine Öffentlichkeit zumindest genutzt. Ich hab’ auf T-Online einen Artikel geschrieben, in dem ich das über die Thüringer Landesgrenze hinaus überhaupt erstmal bekannt gemacht habe. Ich hab’ also die Reichweite, die ich habe als Bundespolitiker, genutzt, um Funke ein bisschen schlecht zu machen; zumindest der Öffentlichkeit ein bisschen klar zu machen, was Funke hier treibt. Es gab auch ein Förderprogramm für Zeitungen. Das habe ich selbst mit initiiert mit 260Mio. €. Da ging’s um Digitalisierung. Und eigentlich waren das Zeitungszustellerkosten gewesen, also ein Subventionsprogramm für die Zeitungszustellung. Aber als das alles nicht hinbekommen wurde, habe ich das jedenfalls nicht mehr weiter verfolgt dieses Thema.

F: Daran anschließend, was Streiks angeht. Bei den Start-Ups Gorillas in Berlin wurde ja auch sehr stark gestreikt und Vorwürfe von Willkür und Ausbeutung laut, als es um die Entlassung von Arbeitnehmer:innen ging. Die Frage: Wie kann der Bund Start-Ups besser regulieren und ist der Bund da in der Verantwortung, oder müssen das Gewerkschaften machen?

Schneider: Also wir haben ja Ausnahmen von Kündigungsschutzrecht und anderen Sachen, ab einer bestimmten Arbeitnehmerzahl. Ab fünf steigert sich das, weil es auch immer für Neugründungen auch eine Startchance geben muss. Du kannst nicht sofort den BASF-Tarif darüber stülpen. Dann wird’s keine Innovationen mehr aus diesem Bereich heraus geben. Aber das darf sich eben nicht verfestigen, sondern so wie die zeitlich raus wachsen, oder eben auch mit Zuwachs an Beschäftigung gelten für die die gleichen Regeln. Bei diesen ganzen Start-Ups müssen wir nur aufpassen vor der Schönfärberei – nämlich ’nen Kicker reinzustellen und die Leute dann bis Mitternacht arbeiten zu lassen und ’ne Cola auszugeben. Das ist dann natürlich nicht mehr schön. Das ist es immer nur dann, wenn es um die Frage der betrieblichen Mitbestimmung geht. Bei Betriebsräte etc. tun sich gerade diese Unternehmen sehr schwer. Und für die hat aber das Gleiche zu gelten. Meine Kollegin, deren Wahlkreis das ist, war auch dort und ich glaube sogar, dass Hubertus Heil mit den Arbeitnehmern dort gesprochen hat, die sich dort gewerkschaftlich engagieren und ihre Rechte wahrnehmen wollen. So und deswegen: für die gelten die gleichen Rechtslagen wie für alle anderen auch. Wir haben erstmal eine positive Reputation in der Öffentlichkeit. Gerade aber in diesem StartUp-Bereich, wenn die Arbeitnehmer nicht beteiligt sind über Aktien etc., dann wird ihre Arbeitskraft einfach über die Maße ausgenutzt. Das kann man mal machen, aber irgendwann wird’s zur Unternehmenskultur und wenn du dann sagst, ich muss jetzt hier 20:00 Uhr nach Hause, weil ich meine Kinder sehen will, wirst du schief angeguckt. Und da hört’s dann schon lange auf bei mir.

F: Arbeitnehmer:innen sind dort ja versteckter, auch teileweise weil es nicht mehr so klare Beschäftigungsverhältnisse gibt. In den letzten Jahre, vielleicht Jahrzehnten, hat die SPD ja die Wählergruppe der Arbeit:innen mehr verloren, also in dieser Wählergruppe mehr verloren als bei anderen vielleicht. Wie erklärst du dir das? Seid ihr noch die Partei der Arbeiter:innen? Was muss man vielleicht wieder verändern?

Schneider: Die SPD ist eine Volkspartei. Der Anspruch der SPD ist, die gesamten Kernmilieus abzubilden. Kein Wählermilieu abzubilden, sondern die gesamte Gesellschaft als Mitgliedschaft möglichst zu haben. Das gelingt immer weniger, aber es ist immer noch mehr der Fall als bei anderen Parteien. Und insbesondere für die zu streiten, die es einfach schwerer im Leben haben. Also die z. B. gesundheitlich beeinträchtigt sind, die kein dickes Erbe haben, deren Chancen, weil sie in einem Wohnviertel wohnen, wo das soziale Umfeld schwieriger ist, nicht so groß sind, wie deren, die das ganze Leben gepampert wurden. Und die im Blick zu haben und denen eine Stimme zu geben, das ist der Anspruch den ich als Sozialdemokrat habe und dafür werbe ich auch bei denen, die ihr Leben lang gepampert wurden. Weil ansonsten würden die irgendwann in Gated-Communities leben und das ist nicht schön. Die Verluste, die wir in der klassischen Arbeiterklasse haben, hängen mit verschiedenen Gründen zusammen. Die hängen mit den geringen Lohnsteigerungen und Löhnen in den letzten Jahren zusammen, die mehr oder weniger stagniert sind. Einzige Erhöhung war der Mindestlohn, aber ansonsten, gerade hier in Thüringen sind Klein- und Kleinstunternehmen kaum gewerkschaftlich organisiert. Und dann ist es so, dass wir zunehmend kein Klassenbewusstsein mehr haben, sondern ein Milieubewusstsein und es uns als Sozialdemokraten schwerfällt, den Hipster aus Berlin-Mitte, der für 2.300€ für ein Start-Up arbeitet, sich kulturell total polyglott fühlt und den für 2.300€ arbeitenden Arbeiter, der irgendwo arbeitet und Erfurt nicht verlässt, die noch zusammen zu bringen und der kulturelle Konflikt untereinander ist mittlerweile das für sie wahlentscheidendere Thema, als das verbindende Element der Ökonomie. Und da gehen die einen von uns zur AfD und die anderen Wähler gehen zu den Linken und zu den Grünen. Und das ist glaube ich, ein Großteil der Erklärung. Ich gebe aber nicht auf. Ich glaube, wenn wir die SPD als Bindeglied nicht hätten, in Teilen ist es die CDU in ihrem Milieu auch noch, sondern nur noch diese Milieuparteien, dann klatscht das alles aufeinander und dann ist’s hier schwerer zu leben.

E: In den USA sieht man das was hier passiert ja sogar noch ein bisschen weiter getragen, da werden sich ja über jedes Thema gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Hier gibt es ja auch diesen Trend oder Tendenz. Was kann man machen damit wieder ein Klassenbewusstsein entsteht und die Leute ein bisschen mehr schauen, was alle brauchen statt nur in ihren Milieus festzustecken?

Das Erste ist, dass die SPD sich mehr harten Auseinandersetzungen, wo es um Geld und um Macht geht, stellen muss, damit die einfachen Leute das Gefühl haben, dass wir da ernsthaft für kämpfen. Das haben wir bei der Finanzkrise immer gemacht – die Banken möglichst nie geschont, sondern immer hart rangenommen. Wir hatten da immer einen klaren Kompass. Manchmal brauchst du Symbole. Wir haben halt für die Superreichen keine Symbole, weil die bei uns zurückgezogen leben. Du hast nicht die Glitzer-Schampus-Trinker-Fraktion, außer ein paar gekaufte Adlige auf RTL2. Das sind die ja nicht. Sondern die richtigen Milliardäre die das dicke Geld hier raus ziehen, Handelskonzerne etc. besitzen, die leben zurückgezogen. Du siehst sie also nie. Du kannst es nicht personalisieren. Das ist immer schlecht in der Politik. Und deswegen finde ich, sind die ökonomischen Fragen in den Mittelpunkt zu rücken. Ganz klar. Und dann eben nicht arrogant über Lebensentwürfe reden. Sondern jeden erstmal so nehmen wie er ist. Und wenn ich nicht dienstlich auf diesen sozialen Kanälen sein müsste, ich würde es nicht sein. Ganz viele müsste man auch nochmal neu programmieren. Als ich anfing gab’s halt nur Facebook und da ist ja jetzt nur noch eine spezielle Gruppe. Viele aus Erfurt sind da. Und die kriegen jetzt, wo sie einmal drin sind in dieser Schleife, immer die gleichen Freundesvorschläge und Themen und irgendwann denken die, impfen ist giftig. Und andersherum hast du’s genauso. Ich finde so ein klassisches, reales Leben miteinander spannender. Ich hab’ z. B. als ich von Eisenach nach Berlin gekommen bin am Prenzlauer Berg gewohnt. Heute würde mich da keiner mehr hinbringen, weil da alles so glücklich ist. Da hätte ich keinen Bock drauf. Es segregiert sich jetzt aber immer mehr und eine kluge Stadtpolitik reagiert darauf. Und ich finde das was Scholz in Hamburg gemacht hat, ist aller Ehren wert. Also da dieses neue Viertel hochgezogen am Hafen, aber auch eben mit Sozialwohnungsauflagen. Ich war jetzt in Hamburg-Altona im Wahlkampf. Das war früher ein klassischer SPD-Bezirk und die Probleme, die die Leute da so hatten, waren fernab der Probleme die mir hier so in Thüringen begegnen. Damit will ich sagen, viele Menschen, die nur 1.800 € brutto verdienen ganz andere Probleme haben.

F: Die letzten zwei, vielleicht drei Bundestagswahlen, waren die Themen der Arbeitswelt eigentlich nie so entscheidend. Es entscheidet sich auch oft erst im Wahlkampf, was wirklich die Themen sind. In einem Land, wo die meisten lohnabhängig beschäftigt sind und es für alle eigentlich eine wichtige Frage ist, was der Mindestlohn ist, warum sind diese Fragen nie entscheidend?

Schneider: Ich kann ja nur feststellen wie es ist. Ich glaube die Journalisten sind ein wichtiger Filter und wen laden die zu Talkshows ein? Welche Themen sind in den Talkshows? Die wo die Zuschauer sich aufregen. Die können das messen. Wenn Karl Lauterbach da ist, bleiben die Leute drauf auf dem Fernseher. Komme ich, schalten die Leute weg, ist langweilig. Es ist die Polarisierung und diese kulturellen Themen polarisieren. Die ökonomischen Themen sind uninteressant. In den Talkshows geht es immer um die gleichen Themen und es sind auch immer die gleichen Leute da. Es gelingt uns als SPD nicht, aber auch nicht den Linken, diese Verteilungsthemen wirklich hoch zu hängen. Einmal kurz mit Kevin Kühnert und der BMW-Enteignung. Aber das war das einzige Mal in zwei Jahren, das in eine Debatte zu bringen und das, obwohl es das Leben von 30 Mio. Menschen jeden Tag bestimmt. Und trotzdem: auf Facebook und Twitter usw., geht es nur um diese kulturellen Themen. Wenn ich z. B. was zur AfD mache: geil. Mach ich was zur Grundrente: ein Like. Nur mal so als Beispiel. Ich verstehe das auch nicht.
Und ich weiß ganz viele, die Working-Poor, für die ist die Stromabrechnung und Heizrechnung jetzt im Homeoffice hoch. Nachzahlung 350€. Das ist richtig viel Geld, wenn du im Monat vielleicht so 100€ freie Spitze hast. Da müssen die Teilzahlungsvereinbarungen machen und deswegen wundert mich das auch. Aber es ist erstmal so. Vielleicht sind wir auch zu wenig auf Polarisierung aus. Vielleicht sind wir zu brav im Auftreten. Ich weiß es nicht.

E: Aber es wäre ja eigentlich schade, wenn man erst wieder polarisieren müsste, damit man drüber spricht. Weil wir brauchen ja jetzt nicht noch mehr Spaltung.

Schneider: Naja, dann wär’s vielleicht sogar allen gleich. Also dann hättest du vielleicht wieder diese Verbindung in den unterschiedlichen Milieus, miteinander. Das fängt ja bei der Ernährung an. Ernährung ist ja mittlerweile so eine total ideologische Frage geworden, über die man sich definiert. Auch Mobilität etc.. Und immer in einer harten Abgrenzung und selten mal über das eigene Milieu hinaus.

F: Ich glaube eine Frage die auch wichtig ist und bis auf die AfD, auch in allen Wahlprogrammen steht: Klimaschutz und grüne Wirtschaft. Das ist ein riesiges Thema, auch für den Arbeitsmarkt. Es gibt auch viele Leute die sagen, konsequenten Umweltschutz sozial voran zu treiben, Hand in Hand, das kriegen wir nicht hin.

Schneider: Wir müssen. Die Grünen und die CDU sind sich ja in einem Punkt sehr einig, nämlich dass sie das über den Preis steuern wollen. Und ich habe diesen CO2-Preis mit verhandelt. Und ich hab’ immer gesagt: Stopp! Keinen Cent, weil ich hab’ hier immer meine Plattenbauleute im Kopf, die im Zweifel das Ding nicht sanieren können. Bei denen ist Strom und Heizung schon längst ein Thema und die sparen das wie blöde, weil die kein Geld haben. Und da brauche ich kein weiteres Preissignal. Das ist eine Diskussion von Leuten, die es sich leisten können. Und im Zweifel sind denen, die paar Cent mehr oder weniger, die der Sprit dann mehr oder weniger kostet, egal. Die kriegen nämlich das Auto umgestellt. Wir haben ja diese Prämie für Elektroautos gemacht, bis zu 10.000 €. Aber kauf dir mal ein neues Auto. Ein neues Auto bekommst du nur auf Kredit und damit hab’ ich vor allem die Leute im Blick, die maximal 5.000 – 6.000 € für ein Auto ausgeben können. Und da kriegste eben kein Neues für. Deswegen hab ich das sehr mit im Blick. Man muss es über die Technologie machen und vor allem auch über den Ausbau von erneuerbaren Energien und das was ich sehe in Hessen und in Baden-Württemberg, beides grün regierte Länder, sehr geringe Ausbauschritte haben. Währenddessen, fahre ich durch Sachsen-Anhalt und hab’ da Repowering gesehen. Im Thüringer Wald haben wir zwei Trassen. Man wird den Naturschutz nur hinbekommen, wenn du die ganz normalen Leute mitnimmst und die sind ja nicht böse, wenn wir die Natur zerstören. Aber das über den reinen Preis zu machen, wird dazu führen, dass die die sich eine Woche Goldstrand alle vier Jahre leisten, es sich dann vielleicht im fünften Jahr leisten können. Diejenigen, die zwölfmal im Jahr hinfliegen, wo die Sonne schön scheint, die werden es auch weiterhin machen können, weil dann kostet es halt ein paar Euro mehr, ja mein Gott. Die paar Euro für’s Ticket macht’s jetzt auch nicht mehr fett. Einmal weniger Essen gehen. Deswegen glaube ich, das es sehr wichtig ist, dass die SPD da in der nächsten Bundesregierung die Führung hat. Die CDU und die Grünen haben das rein lebensweltlich nicht. Die leben in ihren Milieus und die kennen die Leute nicht. Man kann ihnen das fast gar nicht vorwerfen. Ich meine, woher sollen sie’s denn wissen?! Aber da würde die AfD noch stärker, als sie schon sind. Im Thüringer Wald bin ich durch’s Schwarzatal gefahren, 100Km nur Plakate der AfD. Nicht mal mehr die Moschee, sondern Windräder und Stromtrassen. Und Olaf hat sich das ja als zentralen Punkt gesetzt, die Infrastruktur. Du musst die Trassen bauen. Du musst die Windparks zur Verfügung stellen, die die erneuerbaren Energien herzustellen, um als Hochindustrieland aus der Kohleverstromung und aus der Atomverstromung auszusteigen und das bei einem steigenden Energieverbrauch, weil wir die ganzen Autos nicht mit Benzin, sondern mit Strom fahren. Das heißt, insgesamt brauchen wir mehr Strom, haben zwei Quellen die weg sind, da muss ich bei den anderen natürlich richtig Gas geben.

F: Die Arbeitsbedingungen für sogenannte Saisonarbeiter:innen sind, wie das Beispiel Tönnies oder auch die Spargelernte ganz extrem gezeigt hat, oft alarmierend und menschenunwürdig. Wie siehst du hier den Staat in der Verantwortung und in der Pflicht das in Zukunft zu verhindern?

Schneider: Wir haben bei Tönnies in der Fleischverarbeitung gezeigt was los ist. Da gab es zig Selbstverpflichtungen der fleischverarbeitenden Industrie und der Schlachter. Die haben sich nicht darangehalten. Sie haben alles genutzt was möglich war, um Arbeitsschutz und Mindestlohn zu unterlaufen. Sie zahlen zwar den Mindestlohn, aber dann holen sie das durch Übernachtungskosten in irgendwelchen fünftklassigen Bauwagen wieder rein. Wir haben das gesetzlich quasi ausgeschlossen. Die Möglichkeit Subunternehmen dort einzustellen. Das gibt es in keinem anderen Bereich. Das ist branchenspezifisch. Das ging dann öffentlich, weil wir die Öffentlichkeit hatten und die CDU ja auch stark mit Tönnies verbunden war, sodass sie sich dagegen nicht mehr gewehrt haben. Sonst hätten die das nie gemacht. Also das geht. Jetzt mal ganz offen: wir haben sehr viele Arbeitnehmer aus Osteuropa hier in Deutschland. Manche sehen wir nicht. Das sind die Paketboten. Das waren früher immer noch Deutsche. Das sind jetzt nur noch ganz wenige Deutsche. Also mein DHL-Bote ist noch deutsch, die anderen nicht mehr. Und ganz viele gucken die, glaube ich, nicht mal an. Das ist halt der, der das Paket bringt. Wie dessen Bedingungen sind, wie der arbeitet, etc., interessiert die Leute nicht mehr. Das haben wir ja auch geändert. Es gibt Möglichkeiten in diesen Bereichen gesetzlich Vorgaben zu machen. Da wo Tarifautonomie ist, also da wo die Gewerkschaften nicht verankert sind, findet Wildwest statt. Ich bin bereit, gerade was Arbeitnehmerrechte betrifft, dass hart durchzusetzen, insbesondere im Dienstleistungssektor. Der ist nicht exportrelevant, sondern das sind alles Sachen, die sowieso bezahlt werden. Die Leute brauchen einen Haarschnitt usw. und alles andere an Dienstleistungen und das müssen wir im Zweifel stärker regulieren, weil wir dort kaum Gewerkschaften haben und weil die meisten Leute dort in Kleinstbetrieben unterwegs sind. Also bis zu fünf Beschäftigten und die nicht mal Kündigungsschutz haben.

F: Ihr wollt den Mindestlohn auf 12,00€ anheben, Renten auf mindestens 48%, Sozialbauwohnungen schaffen, 100.000 Stück stehen im Wahlprogramm. Eine Frage die immer gestellt werden muss, wie finanziert man das Ganze?

Schneider: Der Mindestlohn finanziert sich über den Markt. Das hat bei 8,50€ funktioniert und das wird klappen. Ich habe damals eine Studie erarbeiten lassen. Es hat sogar fiskalische Zusatzeffekte im Bund, also für den Staat. Erstens sparst du Aufstockergeld, also Leute die, obwohl sie arbeiten, vom Amt noch Arbeitslosengeld 2 bekommen. Da sparst du. Und zum zweiten hast du im Zweifel höhere Steuereinnahmen, durch Mehrwertsteuer, Biersteuer und was weiß ich. Wenn du mehr Geld hast, gibt du es aus. Die Sparquote dort ist Null in den Einkommensgruppen. Also es rechnet sich. Es wird einfach finanziert über die Marktwirtschaft. Bei der Stabilisierung des Rentenniveaus, da haben wir in dieser Legislatur in die die Rentenformel eingegriffen. Sonst wäre sie gesunken und wir wollen sie da halten. Wir haben schon einen hohen Zuschuss, der liegt bei über 100 Milliarden und es kommt noch was obendrauf, weil die Grundsicherung, also die Grundrente ja noch eingeführt wird. Im Zweifel finanzieren wir das über die höheren Einnahmen, die wir durch höhere Besteuerung von Vermögen, das ist einer der Punkte die drin ist, der Erbschaften, oder eben im Einkommenssteuerbereich eine Erhöhung von 42 auf 45% des Spitzensteuersatzes. Geht. Viel, viel, viel mehr geht nicht, aber so ein paar Punkte gehen.

E: Ich hätte eine Frage zur 30-Stunden-Woche: Die steht ja bei euch nicht im Wahlprogramm und die SPD fordert sie nicht. Ich habe einen Artikel von einer SPD-Abgeordnetengefunden und die ist der Meinung, die SPD sollte das fordern. Was sagst du zur 30-Stunden-Woche und warum steht es nicht im SPD-Wahlprogramm?   

Schneider: Also ich persönlich habe hohe Sympathie dafür, dass wir die Gewinne, die Digitalisierungsgewinne, die wir machen, wieder zur Produktivitätssteigerung führen. Dann kann man sich überlegen, ob man die durch höhere Löhne auszahlt oder für weniger Arbeit, also Freizeit oder eben Zeit für andere Dinge nutzt. Das ist aber in weiten Teilen noch Tarifautonomie und ein interessanter Punkt: ich weiß nicht, ob es die Lokführer waren oder es war die Transnet, die eine Befragung gemacht hat. „Wollt ihr höhere Löhne oder wollt ihr weniger Stunden?“ und die Beschäftigten haben sich für die Zeit entschieden und deswegen finde ich das einen ganz wichtigen Fingerzeig, auch für die Zukunft der Tarifverhandlungen. Das wäre Nummer eins. Man kann sowas auch unterstützen, durch eine politische Diskussion. Hintenraus in der Rentenzeit hast du eigentlich relativ viel Zeit und freust dich auf die Enkel und hoffst, dass du welche kriegst. Deswegen finde ich es einen ganz spannenden Punkt, den wir aber gemeinsam mit den Gewerkschaften und Arbeitnehmern unterstützend begleiten müssen, aber nicht per gesetzlicher Festlegung. Es stehen ja auch nicht 40 Stunden im Gesetz. Im Arbeitsgesetz stehen 48 Stunden oder sowas und Höchstarbeitszeiten liegen bei 12 oder 11 irgendwie. Das sind die maximalen Stunden. Wir haben gute Erfahrung damit gemacht, dass wir Tarifverträge haben, die das regeln und ich fände es sehr spannend, wenn wir hier im Osten mal anfangen würden, die höhere Stundenzahl, die wir haben, zu ändern und das zum Thema für die Arbeitskämpfe der Gewerkschaften zu machen. Ich glaube, dass wir mittlerweile eine sehr frustrierte ostdeutsche Arbeitnehmerschaft haben, die das nutzen würde, unabhängig von 2,5 oder 3,2%, ist das ein Punkt, der glaube ich, viele triggern würde zu kämpfen.

E: Du hast ja erzählt, dass die Familie und andere Verpflichtungen, oft im Konflikt mit der bezahlten Arbeit stehen. Wir haben bisher nur über bezahlte Arbeit gesprochen und ich würde gerne mal auf die unbezahlte Fürsorgearbeit hinaus. Die sehr schwierig politisch zu regulieren ist, aber geschlechtliche Ungleichheit hervorruft. Es ist so, dass weiblich gelesene Personen im Normalfall den Großteil der Fürsorgearbeit ausführen. Was könnte man trotzdem in einer Position wie deiner tun, um da Veränderungen zu erzeugen, in dem privaten Bereich, der ja doch politisch ist?

Schneider: Es ist vor allen Dingen erstmal eine Eigenverantwortlichkeit der Paare. Das sage ich, weil es ja bei uns schon sehr ungleich verteilt ist. Auch meine Frau ist eine Selbstbewusste Frau, die hat studiert im Gegensatz zu mir und auch immer die Arbeit mit im Punkt gehabt. Nun ist das bei mir kein normaler Job, den ich mache, aber es ist immer ein Spannungsfeld. Ich habe z.B. großen Wert daraufgelegt, mich trotzdem nicht ganz so kaputt zu machen, nur um diesen Job zu machen, so wie das andere Kollegen machen. Das hilft ja denjenigen nicht. Ich glaube das zu bezahlter Arbeit umzuwandeln ist in der Dimension gesellschaftlich nicht bezahlbar. Es ist eine Frage, die Mann und Frau, Frau und Mann in einer Beziehung mit sich klären müssen und ich habe den Eindruck, aber das ist wahrscheinlich eher im akademischen Milieu so, dass sich das sehr stark verändert hat und die Männer auch zurückstecken. Zumindest in meinem Freundeskreis, die kann ich ja jetzt nur heranziehen, ist das so. Es gibt auch Paare, die Ausbildungsberufen nachgehen, wo der Mann im Zweifel noch den IG Metall-Job hat und die Frau in einem Job ist, der nicht tariflich organisiert ist und dementsprechend weniger bezahlt wird, wo gesagt wird: „Bleib du mal ein Stückchen zuhause“. Der Klassiker. Da kommst du kaum ran und was wir gemacht haben ist das Elterngeld einzuführen. Das ist auch der Anreiz für beide Seiten, für Mann und Frau, die Betreuung der Kinder zu übernehmen, ohne das beruflich nur eine Seite zurückstecken muss. Dann haben wir dafür gesorgt, dass Frauen in Führungspositionen kommen, erst in Aufsichtsräten, jetzt in Vorständen. Das sind natürlich die ganz oben. Außerdem gibt es das Gleichheitsgesetz, die Offenlegung und und und.

E: In der bezahlten Pflegearbeit ist es auch so, dass Frauen den größeren Anteil ausmachen, aber dann wieder mehr Teilzeit angestellt sind und dadurch auch wieder in der schlechteren Position sind. Kann man dafür sorgen, dass diese Frauen seltener in Teilzeit arbeiten?

Schneider: Wir haben ja das Rückkehrrecht auf Vollzeit gemacht. Gleich zu Beginn der Legislatur. Das hat uns die CDU vor der Legislatur und zum Ende nicht mehr zugestanden. Man muss natürlich immer auch erst die Chance haben in einem Vollzeitjob gewesen zu sein oder einen zu haben. Ich habe die Verkäuferin von Kaufland noch von voriger Woche im Ohr, die wirklich um zehn Stunde kämpfen muss, damit sie höher kommt.