Sandro Witt (39 J.) ist seit 20 Jahren Mitglied der Linken bzw. der PDS. Weiterhin ist er seit 20 Jahren beim Deutschen Gewerkschaftsbund aktiv und seit 2014 bekleidet er das Amt des stellvertretenden Bezirksvorsitzenden des DGB Hessen-Thüringen und ist Landesvertreter des DGB in Thüringen. Dieses Jahr tritt er als Direktkandidat für den Wahlkreis 196 in Südthüringen zur Bundestagswahl an.
Wir haben Sandro Witt, sowohl in seiner Rolle als Direktkandidat für den Bundestag als auch in seiner Rolle als langjähriger Gewerkschafter, ein paar Fragen zum Thema Arbeitswelt gestellt. Im Folgenden findet ihr die Antworten etwas gekürzt in Text-Form, sowie in voller Länge als Audio-Dateien. Viel Spaß beim lesen und anhören!
INTERVIEW
F: Was siehst du als die große Herausforderung für die Arbeitswelt in den nächsten vier Jahren und welche Instrumente braucht es, um dem zu begegnen?
Sandro Witt: Was wir auf jeden Fall brauchen ist im Grunde genommen die Frage vom sozial-ökologischem Wandel, der da ansteht. Das ist die große Herausforderung – Stichwort Klimawandel – dass wir wissen, das derzeit der CO2-Abdruck von jedem Einzelnen von uns durch viel reisen, durch große Fabrikhallen und vielleicht auch durch die ganze Internationalisierung, nicht wirklich vorangetrieben wurde, was es an Digitalisierung gibt. Wir können aus der Krise lernen, dass bestimmte Prozesse in größeren Konzernen auch digital ablaufen können. Wir müssen nicht jeden Morgen ins Flugzeug steigen, um zur Aufsichtsratssitzung xy zu fliegen. Es ist klar geworden, die Wissenschaft sagt wir können noch ein paar Jahre so weiter machen und dann vererben wir der nächsten Generation eine kaputte Welt und das muss nicht sein. Von daher ist die größte Herausforderung, diesen Wandel sozial zu begleiten, da bin ich Fridays for Future auch extrem dankbar gewesen, dass sie das mit uns besprochen haben; auch beim DGB und mit den Parteien. Gleichzeitig muss die Digitalisierung massiv vorangetrieben werden. Was aber im Kern auch nicht nur sozial begleitet werden muss und dass die Menschen, die da rein geboren werden, und damit meine ich nicht nur die jüngere Generation sondern auch die heutigen, entsprechend flankiert ausgebildet werden müssen und weitergebildet werden müssen. Da braucht es Milliarden, dass kann man so deutlich sagen. Wo wir die hernehmen, wissen wir. Vermögenssteuer und so weiter, das ist klar. Da sind auch die Linke und die Sozialdemokraten positioniert. Das ist die größte Herausforderung. Der zweite Teil: wir müssen es auch schaffen endlich Tarifbindung herzustellen und wir müssen den Menschen einfach sagen, wenn ihr so weiter macht und jeder seinen Arbeitsvertrag einzeln abschließt, wird das Kapital immer jeden Einzelnen anders behandeln. Wir müssen lernen, wenn man sozial-ökologische Prozesse entwickeln will mit den Arbeitern, dann muss man das solidarisch machen. Sie sollten sich in Gewerkschaften organisieren, bei unseren am besten, und im Kern müssen die Gewerkschaften auch noch ein bisschen was lernen, nämlich mit der Frage wie man mit einer Generation umgeht, die heute hier und morgen dort arbeiten will und etwas flexibler und digitaler wird, wie man da Bindungswirkung schafft. Denn nur mit dieser Überzeugungsarbeit wird es möglich sein Tarifverträge abzuschließen. Das ist nicht mehr die große Werkshalle irgendwann wo tausende Arbeiter:innen arbeiten und dann geht mal der Gewerkschaftssekretär durch, und dafür muss der Bund auch Rahmenbedingungen schaffen. Der Bundestag sollte mal die Gesetze überarbeiten – das Betriebsverfassungsgesetz ein bisschen anpassen und auch die Personalvertretungsgesetze anpassen, weil da ist alles noch wie in den 90er oder 2000er Jahren.
F: Du hast bereits von Klimaschutz geredet und gesagt das dort Milliarden investiert werden müssen. Was entgegnest du Menschen die konsequenten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit für schwierig oder gar nicht vereinbar halten.
Witt: Also, wenn jemand sagt wir kriegen das nicht hin würde ich dem erstmal sagen: „Guck dir mal die letzten zweihundert Jahre Entwicklung an, das haben wir immer hinbekommen“. Das ist auch etwas was man im Wahlkampf spürt. Wenn jemand kommt und sagt: „Herr Witt, jetzt sollen auch noch die Benzinpreise erhöht werden“, dann muss man den Kolleg:innen sagen, im Zweifelsfall ist das erstmal richtig. Das betrifft Sie und ist auch nachvollziehbar, wenn kein ÖPNV in der Gegend ist, dass da Fragen aufkommen. Ich kann das eigentlich kurz machen. Die Menschen, die da Fragen stellen, müssen wir ernst nehmen. Und jetzt den Bogen zu vorhin. Das ist ein sozial-ökologischer Wandel, der da stattfindet und wenn es dann halt mal so weit ist, dass Leute da nicht mitmachen wollen, dann muss man da entweder Überzeugungsarbeit leisten oder eben Finanzen in die Hand nehmen – geht halt nicht anders – ist halt Kapitalismus. Man muss es im Zweifel auch schmackhaft machen. Das ist jetzt nicht unbedingt eine Position von meiner Partei oder von vielen Parteien, aber da sag ich, wenn wir die Erde der nächsten Generation vernünftig übergeben wollen, muss es halt Geld kosten. Das sind so die zwei wesentlichen Punkte an der Stelle.
E: Ist dein Punkt, da Geld reinfließen lassen, um das möglich zu machen, aber auch die Bevölkerung ein bisschen mehr in die Verantwortung zu nehmen daran mitzuwirken und sich politisch in Parteien, Verbänden oder Gewerkschaften zu organisieren?
Witt: Die Antwort hast du mitgegeben. Es braucht dreierlei. Das eine hast du gesagt: aufzufordern, es mitzugestalten. Das geht im Grunde, wenn man sich bspw. gewerkschaftlich organisiert. Dann kann man die Arbeitswelt mitgestalten. Wer die Erfahrung gemacht hat, wird das auch weiterhin machen. Aber ich glaube in voller Härte formuliert, heißt es bei der Frage im Zweifelsfall auch durchsetzen. Wenn wir über Jahre mit diesen 20% diskutiert haben und es auch sozial-ökologisch ausgeglichen haben, dann machen die halt nicht mit. Das ist dann halt mal so und auch das gehört zu den letzten zweihundert oder dreihundert Jahren. Die gab es immer – die Zweifler – und da kann ich auch das Stichwort AfD nennen, die im Grunde immer Zweifel streuen. Was klar ist, wer nicht mitgestaltet, der bleibt stehen und das muss viel klarer und deutlicher gesagt werden als bisher.
F: Welchen Themen lassen sich explizit für Thüringen direkt in den Bundestag einbringen? Wir haben da bspw. an die Arbeitsplätze im Druckzentrum gedacht oder auch an den Sonntagsschutz für Arbeitnehmer:innen.
Witt: Das sind oftmals Dinge, die nicht in Thüringen geregelt werden. Was der Bund beschließt, betrifft erstmal fast alle. Das Betriebsverfassungsgesetzt bspw. bringt genauso Probleme in Baden-Württemberg wie in Thüringen, wenn es nicht ordentlich formuliert ist. Wenn man die Finanzen im Bund so regelt wie man sie jetzt regelt, also die Geldverteilung zwischen den Ländern, dann ist es klar, dass der Osten ein Stück weit in den Hintergrund rückt. Das ist auch das was ich machen will, die Thematik Ost, die oftmals sehr emotional diskutiert wird und auch zurecht emotional diskutiert wird. Man hat den Osten schon ein wenig zur Versuchszone gemacht, damals mit dem Niedriglohn. Ich glaube beim Bund wird es darauf ankommen, dass Investitionen auch gezielt in den Osten gemacht werden, dass man ein Forschungszentrum für Wasserstoff bspw. gezielt in Thüringen baut, weil man damit Arbeitsplätze und Know-How entwickeln kann. Weg von den verlängerten Werkbänken, heißt weg von Firmenzentralen im Westen, die mit Bundesgeldern und europäischen Mitteln unterstützt werden, hin zu zentral investierten „Stationen“ im Osten. Der Osten ist in der öffentlichen Wahrnehmung aber auch einfach zu klein. Der Osten wird im Bundestag viel zu wenig repräsentiert, weil die anderen Länder viel größer sind und viel mehr Abgeordnete entsenden. Also heißt es eine Lautstärke für den Osten in den Bundestag einzubringen und zu sagen wir sind nicht die lahmarschigen Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern wir arbeiten schon mehr als im Westen, weil hier die Tarifverträge fehlen. Wir haben weniger Feiertage und die Produktivität ist hier genauso gut. Aber um das zu thematisieren, da reiche ich nicht, da braucht es viele weitere Stimmen, um den Fokus darauf zu lenken.
A-L: Stichwort verlängerte Werkbänke und Subventionierung westdeutscher Firmen die im Osten investieren sollen. Stichwort Druckzentrum. Das ist ja aktuell das Paradebeispiel, wo die Zentrale der Funke Mediengruppe in Essen sagt, das macht keinen Sinn mehr Geld nach Thüringen zu investieren, wir verlagern den sämtlichen Druck in den Westen, um es in den Osten zu fahren. Siehst du im Bund eine Möglichkeit den Osten so attraktiv zu machen bzw. wie, um die Investitionen hierher zu verlagern. Du hast schon gesagt wir sind zu klein, aber wir hätten ja prinzipiell Platz ohne Ende. Wie möchtest du dem entgegenwirken?
Witt: Der Bundestag ist halt der Bundestag und der kann auf unternehmerische Tätigkeiten bzw. auf die Konzerne wenig Einfluss nehmen. Was der Bund und Europa machen kann, ist die Konzerne mal an die Leine zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie vernünftige Steuern zahlen. Das tut mir leid, aber es geht immer um Geld. Die Steuerverteilung muss sich an der Stelle ändern. Zum anderen – das muss ich so deutlich formulieren, denn so geh ich auch in den Wahlkampf – der Bundestagsabgeordnete rettet nicht das Unternehmen vor Ort. Der Bundestag wird auch nicht die Arbeitswelt retten. Die Ministerien setzen Rahmenbedingungen, in denen sich dann entwickelt werden kann. Über die Rahmenbedingungen müssen wir diskutieren, wir brauchen Forschung und Entwicklung im Osten, da muss viel, viel mehr auf die freie Fläche, die du angesprochen hast. In Thüringen werden ja eher Amazon, Zalando und andere Billigarbeitsplätze geschaffen, die dann noch gewerkschaftsfrei sind. Deine Frage konkret beantwortet, das funktioniert wirklich nur, wenn die Beschäftigten sich solidarisch organisieren und sich das erkämpfen, denn dann kann ich in Berlin eine Besuchergruppe mit reinnehmen und wir können Themen aufrufen. Aber die setzen nur Rahmenbedingungen, wir haben das selbst in der Hand. Ich bin total genervt, dass es immer Politiker und Politikerinnen gibt, die uns erklären, die lösen das für uns. Das werden sie nicht. Wir lösen das nur selber.
E: Der Arbeiter:innen-Anteil im Bundestag ist ja verschwindend gering. Denkst du, das ist ein Problem für die Arbeitswelt, dass wir nicht wirklich Vertreter:innen im Bundestag für die Arbeitnehmer:innen haben, die sich aktiv für deren Interessen einsetzen können oder meinst du die Gewerkschaften regeln das?
Witt: Wir haben im Bundestag ja viele Jurist:innen und Verteter und Vertreterinnen der Wirtschaft, aber ich glaube es geht eher um die Parteien. Eine Lehrerin im Bundestag reicht nicht aus, um Bildungsthemen voranzubringen, aber die Parteiprogramme entstehen ja in den Parteien selbst. Da müssten sich Arbeiter:innen in all diesen Organisationen und Parteien organisieren und ihre Interessen einbringen und dann im nächsten Schritt dafür sorgen, dass mehr Arbeiter:innen im Bundestag sitzen. Das ist schwer, denn wenn du Direktkandidat einer Partei bist, heißt das im Grunde genommen, dass du deiner Arbeit erstmal nicht nachkommen kannst und das ist ja gesetzlich geregelt, aber auch mit Problematiken verbunden. Es braucht letztlich viel mehr als die Frage: brauchen wir mehr Arbeiter:innen im Bundestag? Sondern es braucht Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass die Parteien – und da nehme ich keine Partei aus – dafür sorgen, dass auch mal jemand, der Langzeiterwerbslos war im Bundestag sitzt. Da gibt es zu viele Regeln, die intern in den Parteien greifen, wer da jetzt auf Listenplatz eins, zwei, drei kommt. Aber im Kern, klar wäre es schön da 20% Arbeiter:innen sitzen zu haben, die sich auch für diese Themen einsetzen. Das Gute ist, es gibt Regeln dafür. Zum Beispiel kann dein Chef dich nicht rausschmeißen, wenn du für den Bundestag kandidierst und es nicht schaffst. Das wissen die Wenigsten. Wenn du es schaffst, wirst du freigestellt und kannst danach auf deinen Arbeitsplatz zurück.
F: Die Linke hat ja in den letzten 5-10 Jahren weniger Arbeiter:innen erreicht als zuvor. Kannst du dir erklären, woran das liegt, glaubst du, dass das Programm die Leute nicht mehr abholt und wie könnte man das ändern?
Witt: Ich kann da auf wissenschaftlich Analysen von Horst Kahrs für die Rosa-Luxemburg-Stiftung verweisen. Der macht immer nach den Wahlen Analysen, wie sich die Wähler:innenschaft so zusammensetzt und da ist deutlich erkennbar, dass die klassischen Arbeiter:innen ihre Präferenzen, die wir im Osten lange Zeit hatten, nämlich bei der sogenannte PDS, die damals am lautesten gegen den Kapitalismus gewettert haben und Sachen zurecht benannt haben, verändert haben. Es gibt eine gewisse Entzauberung sobald Parteien in Regierungsverantwortung sind und auch zurecht sagen, wir müssen die Gesamtheit repräsentieren und wir müssen Entscheidungen treffen, die jeden Einzelnen repräsentieren. Alle Parteien haben eine Stammwählerschaft, auch die Linke. Dafür, dass die Linke bspw. in Sachsen-Anhalt nicht mehr so erfolgreich war, hat Horst Kahrs zwei Punkte gefunden. Zum Einen stimmte das Personal der Partei in der Wahrnehmung nicht mehr mit der Wählerschaft überein. Das ist keine Kritik an der Spitzenkandidatin, ich mag die sehr, aber die Leute versuchen ja auch abzugleichen: Habe ich was mit der Person am Hut? Da sagen Arbeiter:innen bei Jurist:innen: Naja, ist halt schwierig. Das ist zwar nicht fair, aber das ist so. Der zweite Punkt: ein Großteil der Wähler ist tot; das ist einfach eine Wahrheit für die PDS im Osten. Insofern ist Aufgabe der Partei, die Themen der Arbeiter:innen anzusprechen, aber das tut sie. Die Frage ist, wer in der Partei die Themen anspricht und wie werden sie wahrgenommen. Die Spitzenpolitiker schreiben lieber Bücher, habe ich den Eindruck, und vermarkten sie gut. Damit meine ich nicht nur Sarah Wagenknecht, sondern auch Andere. Oder sie sitzen in Talkshows und wissen nicht, wie viel 80.000€ sind und ab wann besteuert wird. Da würde ich den Vorwurf zulassen. Der letzte Punkt: meine Partei ist weggegangen von der Macher:innenpartei der Nachwendezeit. Wenn sich jemand damals in das Büro der PDS gesetzt hat und sich bitterlich über den Kapitalismus beschwert hat, konnte man sicher sein, dass auf der anderen Seite jemand nickt und sagt der Kapitalismus wird kaputt gehen, aber dieses Szenario ist gar nicht eingetreten. Am Ende hat sich durchgesetzt, dass Menschen mit Ellenbogen durchgelaufen sind und sich dadurch durchgesetzt haben. Daher fragen sich Leute natürlich: Ist mir eine andere Partei näher, wie die FDP mit „jeder kann es schaffen“ oder „jeder ist seines Glückes Schmied.“ Das heißt, die Entsolidarisierung der Gesellschaft hat sich durchgesetzt und meine Partei hatte keine Antwort darauf. Die großen Fabriken sind weg, es gibt eine Vereinzelung und auch die Ansprache der Linken hat sich verändert, es ist auch nicht mehr das Büro, das sofort hilft, sobald ein Arbeitslosengeld II Antrag nicht funktioniert. Wir sagen Hartz IV muss weg, aber in dem Büro sitzt keiner der dann weiß, wie es richtig funktioniert. Das ist das Problem.
A-L: Oft kristallisieren sich erst im Zuge des Wahlkampfs die Schwerpunktthemen heraus. Die letzten Jahre waren Arbeitsthemen nie Hauptthemen, obwohl das unser aller Leben bestimmt. Wieso kriegt es keine Partei hin, den Schwerpunkt auf dieses Thema zu lenken?
Witt: Ich habe zwei Erklärungsansätze dafür. Zum einen, ist Arbeitsmarktpolitik technokratisch. Das heißt, die Dinge, die geregelt werden, laufen in Ministerien, über Richtlinien, über den europäischen Sozialfond und so weiter. In dem Zusammenhang muss man sagen, dass die Parteiprogramme das Eine sind. Das andere sind dann Koalitionsverhandlungen und da wird es dann zum Schwerpunkt. Der Wahlkampf in den letzten Jahrzenten, war immer überschattet von Parallelfragen. Die Einen wollen über Geflüchtete reden, die Anderen wollen über eine Umverteilung reden, wo Konzerne entlastet werden. Heißt: Es gibt genügend Ablenkungsmanöver und das liegt auch daran, dass die Sozialdemokraten als solches, die auch neben meiner Partei als die Partei galt, die diese Themen der Arbeiter:innen aufgeworfen hat, einfach nicht durchgehalten hat in dieser Frage . Warum es so ist, liegt glaube ich einfach daran, dass die Parteien beschlossen haben einfach mitzumachen und das Thema im Wahlkampf abzuhaken, um dann zu versuchen, über Koalitionen was zu erreichen und technokratisch daranzugehen. Ich wünsche mir das und ich mach das auch im Wahlkampf und bringe das Thema ein, aber ich glaube das wird wieder überschattet, von Themen wie Hans-Georg Maaßen und sonst welchen Fragen. Kurzum- du musst es durchhalten. Wenn du einen Mindestlohn willst, musst du acht Jahre durchhalten und das Thema immer wieder voranbringen. Dafür müssen die Arbeiter:innen in die Parteien gehen, ansonsten wird es immer technokratischer und die Themen werden keine Rolle spielen.
F: Die Arbeitsbedingungen für sogenannte Saisonarbeiter:innen sind, wie das Beispiel Tönnies zuletzt wieder gezeigt hat, oft alarmierend und menschenunwürdig. Welche Kontrollmechanismen kann der Staat hier einführen und siehst du den Bund in der Pflicht hier zu handeln oder wen siehst du in der Pflicht?
Witt: Auch wieder Alle. Zum einen Betriebsräte. Und da sind wir wieder bei dem Thema: Kollegen und Kolleginnen müssen sich eigentlich nach Gesetz einen Betriebsrat wählen. Bei fünf Beschäftigten gibt es einen Betriebsrat und der ist nach Betriebsverfassungsgesetzt zuständig das zu kontrollieren. Das Andere sind die Beispiele wie Tönnies und es gibt ja auch hier in Thüringen Beispiele in der Spargelernte und Kartoffellese. Ich glaube der Bund kann eigentlich das tun was er getan hat, nur ein bisschen zu schwach. Hubertus Heil hat ja was gemacht; die sind an das Thema rangegangen. Das Problem war das Clemens Tönnies und andere so gut vernetzt und so gut verzweigt sind, dass sie jedes Gesetzt was zum Arbeitsschutz kommen soll, durch die CDU so verwässert wird, dass kein richtiger Arbeitsschutz zustande kommt. Deshalb erwarte ich vom Bund – da sind wir wieder beim Geld – dass Arbeitsschutz und Kontrollen angesetzt werden und dass das Amt für Arbeitsschutz in den Ländern personell ausreichend ausgestattet wird. Ich glaube in Thüringen ist so wenig Personal, dass du nur alle 90 Jahre geprüft wirst. Das ist ein Problem, das die Linke in Thüringen erkannt hat und die Arbeitsministerin versucht das Amt für Arbeitsschutz aufzustocken. Dann gibt es da sage und schreibe in drei Jahren vier Arbeitsstellen mehr und dann steigt die Kontrolldichte ja auch nicht. Das Zweite ist, und das ärgert mich über Jahrzehnte schon, wenn dann Arbeitsschutzverstöße aufgedeckt werden, ist der Staat immer unterwegs und sagt das darfst du aber nicht machen. Wenn Clemens Tönnies der Meinung ist solche Arbeitsbedingungen zu machen, die absolut gegen jedes Arbeitsschutzgesetz verstoßen, liegt es ja nicht am Gesetz. Das Gesetz gibt es, das schützt und dann muss es auch mal bspw. vier Millionen Euro kosten, wenn dagegen verstoßen wird, damit es wehtut. Das ist sozusagen Aufgabe des Bundestages, da nochmal gesetzlich nachzuschärfen und zu sagen, wenn jemand Arbeiter:innen so ausbeutet dann muss es einfach richtig deftige Strafen geben, die dem Kapitalisten auch richtig wehtun und das ist auch unsere einzige Möglichkeit. Zusätzlich müssen Betriebsräte so gestärkt werden, dass sogenannte Whistleblower, also jemand der solche Fälle öffentlich macht, keine Gefahr hat verklagt zu werden oder seinen Job zu verlieren. Ich finde es braucht ein Gesetz, in dem klar ist, wenn jemand diese sogenannten Firmengeheimnisse – die keine sind – öffentlich macht, der braucht Kündigungsschutz und der darf nicht rausfliegen. Da gibt es richtig viel zu tun, das ist Arbeitsmarktpolitik, da kann der Bundestag durchaus mit Gesetzten nachschärfen.
F: Beim Start-Up Gorillas wird seit einigen Tagen vehement gestreikt. Grund hierfür war die Entlassung eines Kollegen und der Vorwurf von Willkür und Ausbeutung. Auch hier die gleiche Frage: Wie lassen sich Start-Ups regulieren bzw. bei Verstoßen sanktionieren?
Witt: Das kann ich kurz machen, wir kommen zum gleichen Thema, was ich mit dem Betriebsverfassungsgesetz gesagt habe. Das Betriebsverfassungsgesetz muss angepasst werden. Gorillas ist ein Beispiel für diese ganzen Lieferdienstfahrerstrukturen, die in der Krise entstanden sind. Der zweite Punkt: die Gewerkschaften müssen endlich Konzepte entwickeln, wie man jemanden anspricht der prekär beschäftigt ist. Neun Stunden, zehn Stunden Schicht, da reicht es halt nicht den Fahrradfahrer zu stoppen und zu sagen: wir sorgen dafür, dass du eine ordentliche Bezahlung kriegst, sondern du brauchst halt konzeptionell Möglichkeiten, wie man da was durchsetzen kann. Da kann der Bundestag auch wieder Arbeitsschutzgesetze anlegen, aber wir haben ja bestimmte Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz und bestimmte Themen wie den Mindestlohn, etc.. Im Zweifelsfall müssen Politiker:innen sanktionieren, wenn sich nicht an die Vorgaben gehalten wird und da ist Politik viel mehr Rahmenbedingungen, aber da muss man auch mal hinfahren und mit Druck machen.
F: Beim Start-Up Gorillas wird seit einigen Tagen vehement gestreikt. Grund hierfür war die Entlassung eines Kollegen und der Vorwurf von Willkür und Ausbeutung. Auch hier die gleiche Frage: Wie lassen sich Start-Ups regulieren bzw. bei Verstößen sanktionieren?
Witt: Das kann ich kurz machen, wir kommen zum gleichen Thema, was ich mit dem Betriebsverfassungsgesetz gesagt habe. Das Betriebsverfassungsgesetz muss angepasst werden. Gorillas ist ein Beispiel für diese ganzen Lieferdienstfahrerstrukturen, die in der Krise entstanden sind. Der zweite Punkt: die Gewerkschaften müssen endlich Konzepte entwickeln, wie man jemanden anspricht der prekär beschäftigt ist. Neun Stunden, zehn Stunden Schicht, da reicht es halt nicht den Fahrradfahrer zu stoppen und zu sagen: wir sorgen dafür, dass du eine ordentliche Bezahlung kriegst, sondern du brauchst halt konzeptionell Möglichkeiten, wie man da was durchsetzen kann. Da kann der Bundestag auch wieder Arbeitsschutzgesetze anlegen, aber wir haben ja bestimmte Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz und bestimmte Themen wie den Mindestlohn, etc.. Im Zweifelsfall müssen Politiker:innen sanktionieren, wenn sich nicht an die Vorgaben gehalten wird und da ist Politik viel mehr Rahmenbedingungen, aber da muss man auch mal hinfahren und mit Druck machen.
F: Im Wahlprogramm der Linken steht ein Mindestlohn von 13€, eine Arbeitswoche von circa 35 Stunden, ein Mindesteinkommen von 1200€ – alles Dinge, die den Arbeitsmarkt betreffen. Die alte Frage: Wie soll das finanziert werden?
Witt: Wir alle miteinander müssen da zwei Sachen diskutieren. Das Eine ist die ganze Hartz-Gesetzgebung, die von Rot-Grün damals eingeführt wurde. Im Kern muss man danach jeder Tätigkeit nachgehen; das muss rückgängig gemacht werden. Das Zweite ist der 13€ Mindestlohn und die 1200€ Mindesteinkommen. Das sind alles sozialpolitische Forderungen; das flankiert sozusagen den Arbeitsmarkt. Das ist auch wichtig diese Verbindung zu schaffen. Ich würde noch viel lieber Tariftreue diskutieren als den Mindestlohn. Der Mindestlohn ist letztlich ein Vehikel, weil sich nicht an die Tariftreue gehalten wurde. Der Mindestlohn ist solange nötig, wie das nicht gemacht wird. Den Rahmen, den der Bundestag setzen kann, ist es ein Tariftreuevergabegesetz zu beschließen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler geben Geld in den Staat und dann werden Brücken für 8,50€ Stundenlohn gebaut, dass geht ja wohl nicht. In Thüringen haben wir mittlerweile ein Tariftreuevergabegesetzt und wer sich daran nicht hält muss Strafen bezahlen. Ich würde das gerne bundesweit regeln. Der Mindestlohn von 13€ muss bezahlt werden und ansonsten sind es knapp über 16€, die der Stundenlohn mindestens sein muss, damit der Rentenpunkt erreicht wird und ansonsten gilt nur ganz klar der Tarifvertrag. Denn das ist unser Geld, das ist unsere Steuer, die wir dem Staat geben. Da brauch ich gar nicht von Umverteilung reden. Die verdienen ein Schweinegeld bei der Vergabe. Das ist der Hebel, an dem wir ansetzen müssen. Das ist was der Bundestag machen kann. Ansonsten die Reichen besteuern, das ist klar sozusagen, von der Forderung sollten wir nicht abweichen.