HINTERGRUND DER DEBATTE:
Seit Beginn des Abzugs ausländischer Truppen haben die Taliban in Afghanistan zahlreiche Bezirke unter ihre Kontrolle gebracht und beherrschen nun weite Teile des Landes. Dass sich die Sicherheitslage für die Menschen im Land verschlechtert, ist eindeutig. Gleichzeitig erfolgen weiterhin Abschiebungen nach Afghanistan: Im Jahr 2021 sind demnach bislang 167 Menschen nach Afghanistan abgeschoben worden (Stand: 01.08.2021).[1] Anfang Juli 2021 forderte Afghanistan eine Pause der Abschiebungen aus Deutschland.[2]
Ob in einen Staat abgeschoben werden darf, ergibt sich aus den Lageberichten des Auswärtigen Amts. Auf dieser Grundlage werden Abschiebungen nach Afghanistan nach Angaben des Bundesinnenministeriums zurzeit ausschließlich im Fall von Straftäter*innen oder Terror-Gefährder*innen durchgeführt. Afghanistan zählt derzeit jedoch nicht zu den so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“.
UPDATE VOM 11.08.2021:
Überraschend hat das Bundesinnenministerium am 11.08.2021 angesichts der „sich rasant verändernden Sicherheitslage in Afghanistan“ die Abschiebungen ausreisepflichtiger Afghan*innen ausgesetzt. Demnach trage ein Rechtsstaat „auch Verantwortung dafür, dass Abschiebungen nicht zur Gefahr für die Beteiligten werden.“ Sobald die Lage vor Ort es zulasse, „werden Straftäter und Gefährder wieder nach Afghanistan abgeschoben“. (ZDF) Die Entscheidung des zuständigen CSU-Ministers Horst Seehofer, kam auch für das Bundesinnenministerium überraschend, das noch zwei Stunden zuvor verkündete, das Ministerium sei „weiterhin der Auffassung, dass es Menschen in Deutschland gibt, die das Land verlassen sollten, so schnell wie möglich“. Außenminister Heiko Maas, SPD, begrüßte die Entscheidung – aus seiner Partei hatte es zuletzt Kritik an der Fortführung der Abschiebungen nach Afghanistan gegeben. Nun überarbeite das Auswärtige Amt die Berichte zur Sicherheitslage in Afghanistan.
Unter den Oppositionsparteien betonten die Grünen und die Linke die Bedeutung der Entscheidung, kritisierten aber, der vorläufige Abschiebestopp käme viel zu spät. Lediglich die AFD kritisierte die Entscheidung und plädiert dafür, die Abschiebungen fortzuführen – die Verteidigung Afghanistans gegen die Taliban obliege demnach den „wehrfähigen Afghanischen Männern“, wie die AFD die betroffenen Asylsuchenden bezeichnet.
Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-abschiebung-ausgesetzt-100.html (Aufgerufen am 12.08.2021)
Die Positionen der Bundestagsparteien zur Abschiebung in Krisengebiete unterscheiden sich stark:
UNION:
Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU, befürwortet dem entsprechend auch die so genannte „Rückführung“ von Straftäter*innen nach Afghanistan: „Der Grundsatz ‚Null Toleranz gegenüber Kriminellen‘ erlaubt keine Ausnahmen. Straftäter müssen weiter konsequent abgeschoben werden, auch nach Afghanistan.“[3] Mit Blick auf den pandemiebedingten Rückgang der Rückführungen im Jahr 2020 forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer, der 2020 mit seiner Freude über die Abschiebung von 69 Afghan*innen an seinem 69. Geburtstag einen Skandal auslöste, kürzlich, die Abschiebungen nach dem Ende der Pandemie „wieder deutlich zu steigern“.[4] Die Union setzt sich aber bereits seit 2015 für eine Ausweitung von Abschiebungen ein. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte besonders die CSU seit 2018 mehrfach die pauschale Ausweitung der Definition sicherer Herkunftsstaaten auf alle Staaten mit einer Anerkennungsquote für Asylanträge unter fünf Prozent durchsetzen. Diese Maßnahme wurde im Koalitionsvertrag mit SPD und CDU vereinbart – Kritik gab es jedoch am Vorgehen der CSU: Die Ausweitung sollte über ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz erfolgen – also ohne die Zustimmung der Landesregierungen im Bundesrat und damit „an den Grünen vorbei“.[5]
FDP:
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach sich im Vorfeld der letzten Abschiebung gegen einen pauschalen Abschiebestopp nach Afghanistan aus: „Gefährder und Straftäter dürfen sich bei uns nicht sicher fühlen, sie müssen aus Deutschland in ihr Heimatland abgeschoben werden“, sagte Lindner der Nachrichtenagentur dpa.[6] Auch in der Kontroverse zur Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten unterstützte die FDP in der Vergangenheit die Position der Union.[7]
SPD:
Während Walther Borjans, Vorsitzender der Sozialdemokraten, die Rückführung straffällig gewordener Asylsuchender in Krisenregionen wie Afghanistan kritisiert, trägt die SPD als Teil der großen Koalition die Entscheidungen und Maßnahmen des Bundes in der Asylpolitik in der letzten Legislaturperiode zumindest mit – auch mit Blick auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten.[8] Das ist auch weiterhin der Fall: So äußerte sich SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz anlässlich der letzten Rückführungsoperation nach Afghanistan gegenüber der ARD als Teil der Regierungskoalition: „Wer in Deutschland Straftaten begeht, der verliert sein Aufenthaltsrecht und muss mit einer Abschiebung rechnen“.[9] Außerdem ist die Rolle der SPD mit Blick auf das Auswärtige Amt hervorzuheben, das mit seinen Lageberichten für die Grundlage für Abschiebungen zuständig ist. Der amtierende Außenminister Heiko Maas betonte bis zuletzt, dass die regionale Sicherheitslage in Afghanistan regional sehr unterschiedlich sei.[10]
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN:
Die Grünen fordern dagegen mit Blick auf die Offensive der Taliban in Afghanistan die Anpassung des Lageberichts auf der Website des Auswärtigen Amts und einen Stopp der Abschiebungen in die Krisenregion – auch für Straftäter*innen. Dem Vorsitzenden Robert Habeck zufolge sei es Aufgabe deutscher Gerichte und des deutschen Justizvollzugs, mit Straftaten in Deutschland umzugehen. Grünen-PolitikerOmid Nouripour betont, auch Straftäter hätten ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.[11]
Staaten als sichere Herkunftsländer einzustufen, lehnen die Grünen grundsätzlich ab. Mit Blick auf die Effizienz der Asylverfahren in Deutschland sehen die Grünen die Kontroverse um „sichere Herkunftsstaaten“ als „Scheindebatte“ und als falschen Ansatzpunkt. Um die Bearbeitung von Asylanträgen effektiver zu gestalten wie auch Rückführungen „unter rechtsstaatlichen Bedingungen“ zu ermöglichen, bedarf es laut eines Interviews der Welt mit Anna-Lena Baerbock im Jahr 2019 vor allem einer besseren personellen und finanziellen Ausstattung von BAMF und Gerichten sowie Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. [12]
AFD:
Die Position der AFD in dieser Debatte bilden wir bewusst nicht ab, um rassistischem Gedankengut keinen Platz zu bieten.
Autorin: Helen Breunig
Quellenverzeichnis:
[1] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-44161.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-taliban-157.html
[3] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/abschiebungen-afghanistan-laschet-seehofer-spd-100.html
[4] https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-abschiebungen-afghanistan-101.html
[5] https://www.zeit.de/news/2019-02/10/sichere-herkunftslaender-fdp-verlangt-von-gruenen-bewegung-190210-99-923838?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.ecosia.org%2F
[6] https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-abschiebungen-afghanistan-101.html
[7] https://www.zeit.de/news/2019-02/10/sichere-herkunftslaender-fdp-verlangt-von-gruenen-bewegung-190210-99-923838?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.ecosia.org%2F
[8] https://www.fluechtlingsrat-thr.de/themen/basiswissen/sogenannte-sichere-herkunftslaender
[9] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-44161.html
[10] https://www.n-tv.de/politik/Abschiebung-nach-Afghanistan-ausgesetzt-article22723781.html
[11] https://www.n-tv.de/politik/Abschiebung-nach-Afghanistan-ausgesetzt-article22723781.html
[12] https://www.welt.de/politik/deutschland/article204178586/Asylrecht-CDU-will-sichere-Herkunftsstaaten-ohne-Bundesrat-ausweiten.html
[13] Tagesschau vom 03.08.2021: https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-taliban-157.html
[14] https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/Sonderverfahren/SichereHerkunftsstaaten/sichereherkunftsstaaten-node.html
[15] https://www.welt.de/politik/deutschland/article179588664/Asylpolitik-Was-es-heisst-wenn-ein-Herkunftsstaat-als-sicher-gilt.html