Die FDP erkennt Deutschland als „Einwanderungsland“ an (S. 66). Migration ist also eine Realität, die staatlich organisiert werden muss. Fragen der Migrationspolitik werden von der FDP im Kontext von Flucht und Einwanderung, Grundgesetz sowie Staatsangehörigkeit behandelt. Grundnarrativ ist in Abgrenzung zu AFD und Union nicht der Aspekt der Sicherheit, sondern das Leistungsprinzip, das für die FDP im Zentrum des Migrationsprozesses steht. Inhaltlich decken sich die Vorstellungen der Freien Demokraten mit Blick auf Migration und Asyl weitestgehend mit der Politik der vergangenen Legislaturperiode, hervorzuheben ist jedoch ein starker Fokus auf die Erwerbsmigration und der Spurwechsel, für den die Partei aktiv eintritt. Darüber hinaus findet die Dimension der Integration im FDP-Programm im Vergleich zu AFD und Union eine größere Bedeutung.
Europäisierung und Arbeitsmigration
Wie die CDU zählt sie Migration zu den „Herausforderungen unserer Zeit“, die auf europäischer Ebene geregelt werden muss. Gleichzeitig wird Migration aber auch als Teil der Lösung verstanden, wenn es um den demographischen Wandel und Fachkräftemangel geht (S.49). Entsprechend stellt Migration keine Bedrohung für die deutsche Identität dar, sondern wird neben der humanitär begründeten Asylpolitik vielmehr pragmatisch im Kontext der Arbeitsmarktintegration betrachtet. Die FDP positioniert sich im Kontext der Asylpolitik mit der Forderung nach einer verbindlichen gemeinsamen Asylpolitik der EU, die eigentliche Kernforderung betrifft aber die Schaffung eines nationalen Einwanderungsgesetzes, um den Zuzug nach Deutschland auch außerhalb der Asyl- und Flüchtlingspolitik klar zu regeln.
Neben der Regelung der Einwanderung wird im Abschnitt „weltoffene Gesellschaft“ auf implizitem Weg die Integrationsdimension behandelt. Im Zentrum stehen hier Maßnahmen zur Extremismusprävention, insbesondere im Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Islamismus.
IMMIGRATION
Mit Blick auf die Regelung der Immigration wird nach FDP-Vorstellungen nach Bleibeperspektive und Migrationsgrund unterschieden. Deswegen gibt es zwei Teilbereiche der Immigrationspolitik:
Asylrecht
Die FDP bekennt sich zum Grundrecht auf Asyl, das neben politisch Verfolgten auch bei Verfolgung aus religiösen Gründen und aufgrund der sexuellen Identität garantiert werden soll.
Kompetenzverteilung
Grundsätzlich zielt die FDP auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik, die die Verteilung der Schutzsuchenden auf die EU-Mitgliedstaaten für jeweils acht Jahre verbindlich, alternativ in einer „Koalition der Willigen“ erfolgen. Asylanträge sollen bereits in EU-Botschaften im Ausland gestellt werden können, um den eine sichere Flucht zu gewährleisten und Menschenhandel vorzubeugen. Als zentralen Akteur betrachtet die FDP die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX, die nach einer „strukturellen Reform“ nicht nur für die Grenzsicherung, sondern auch für humanitäre Hilfe bzw Seenotrettung zuständig sein soll. Damit grenzt sich die FDP von den Vorstellungen von CDU und AFD ab.
In Deutschland sollen Statusfragen wie auch Abschiebungen vom Bund, Fragen der Integration dagegen von den Ländern geregelt werden. Ausgangspunkt für den Status von Schutzsuchenden in Deutschland bildet die Unterteilung zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und dauerhaften Einwander*innen. Für Kriegsflüchtlinge soll ein neuer, auf die Dauer des jeweiligen Kriegs begrenzter Schutzstatus geschaffen werden, der im Anschluss an eine Identitätsprüfung „unbürokratisch“ erfolgen soll.
Abschiebungen und Spurwechsel
Wenn gegenüber den Schutzsuchenden keine humanitären Verpflichtungen bestehen, soll nach FDP-Vorstellung konsequent abgeschoben werden. Gleichzeitig gilt: „wer einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder sich in einer Qualifikationsphase (zum Beispiel Ausbildung oder Studium) befindet, sollte nicht ausgewiesen werden“ (S. 64). Deswegen soll für gesellschaftlich und beruflich gut integrierte, aber abgewiesene Schutzsuchende die Möglichkeit eines so genannten „Spurwechsels“ vom Asylrecht in das Einwanderungsrecht erfolgen können. Im Gegensatz zum Spurwechsel im befristet gültigen „Beschäftigungsduldungsgesetz“, das mit dem Migrationspaket 2019 verabschiedet wurde, wäre der Spurwechsel wohl eine permanent gültige Maßnahme zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.
Einwanderungsrecht
Jenseits der humanitären Verpflichtungen und Menschenrechte, die dem Umgang mit Schutzsuchenden zugrunde liegen, plädiert die FDP für „Einwanderung nach eigenen Interessen“, die in einem Einwanderungsgesetzbuch reguliert werden soll. Damit möchte die FDP „Humanität und Ordnung“ (S. 64) miteinander verbinden. Der Fokus liegt auf der Erwerbsmigration – demnach soll für ausländische Fachkräfte mit oder ohne akademische Ausbildung die Möglichkeit bestehen, in Deutschland zu leben. Voraussetzung zur Migration ist ein Arbeitsangebot in Deutschland, oder die Perspektive der Migrant*innen auf einen Arbeitsplatz in Deutschland, die in Orientierung am kanadischen Punktesystem bewertet werden soll. Die FDP stimmt darüber hinaus der Streichung des Vorrangs deutscher Arbeitnehmer*innen auf dem Arbeitsmarkt zu, wie sie 2019 bereits im Fachkräfte-Einwanderungsgesetz beschlossen wurde.
INTEGRATION
Wie für die Union gilt auch für die FDP das Motto: „Integration fordern und fördern“ (S. 65). Gleichzeitig wird im Extremismus-Abschnitt des Parteienprogramms klar, dass Integration nicht als einseitige Anpassung der Migrant*innen an die Ankunftsgesellschaft, sondern als beidseitiger Prozess aufgefasst wird. Die Integrationspolitik soll sich nach Vorstellungen der FDP an einem Leitbild orientieren, das nach dem Grundgesetz „die Prinzipien Weltoffenheit, Toleranz und Eigenverantwortung als Grundlage der Integration betonen soll“ (S. 65). Dieses Leitbild soll in Integrations- und Vorbereitungskursen vermittelt werden, die bereits in den Herkunftsländern Ausland angeboten werden sollen. Hierfür sollen Partnerschaften mit den Herkunftsländern geschlossen werden. Besondere Förderangebote sollen dabei Frauen, Kinder, Schutzsuchende und Senior*innen erhalten. Außerdem schlägt die FDP die Förderung von Integrationspatenschaften vor. Außerdem betont die FDP die Rolle des Sports für die gesellschaftliche Integration (S. 45).
EINBÜRGERUNG
Die FDP versteht die Einbürgerung als „Verdienst einer erfolgreichen Integration“ (S. 66), der an klare Kriterien geknüpft ist. Für Deutschland ist es als Einwanderungsland notwendig und „wertvoll“, Zugezogenen und in Deutschland geborenen Ausländer*innen den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu ermöglichen und an „klare Kriterien“ zu knüpfen (S. 66): Nach drei Jahren straffreiem, erwerbstätigem und legalem Aufenthalt in Deutschland fordert die FDP eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis für Migrant*innen. Nach vier Jahren soll unter diesen Bedingungen einen vereinfachten Zugang zur Staatsbürgerschaft, die an einen bestandenem Einbürgerungstest und das Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz geknüpft werden soll (S. 66). Ausdrücklich wünscht sich die FDP zudem eine Einbürgerungsfeier unter Verwendung nationaler Symbole, etwa Deutschlandflagge und Nationalhymne (S. 66).
Quellen: Den Zusammenfassungen der Positionen, Forderungen und Maßnahmen liegen die jeweiligen Parteienprogramme zugrunde. Diese sind auf den jeweiligen Websites der Parteien abrufbar oder auf folgender Website zu finden: https://www.bundestagswahl-2021.de/wahlprogramme/